Andorra

„Die deutsche Schauspielszene braucht sich keine Nachwuchssorgen zu machen. Ihr werdet jedes Jahr noch besser – was ihr uns heute Abend hier geboten habt, war erstklassig!“, lobte Schulleiter Joachim Philipp die Schauspieler der Theater-Arbeitsgemeinschaft und dankte den beiden AG-Leiterinnen Barbara Laufs und Anna Schmitt für die hervorragende Aufführung.

Brutalität, Anonymität, Angstmache und Schikane: Die Inszenierung von Max Frischs Drama „Andorra“ am MBG beginnt mit der Judenschau, die sich eigentlich am Ende des Dramas befindet und rollt das davor Geschehene dann im Rückblick auf – dadurch gewinnt die nochmals gezeigte Judenschau am Ende der Inszenierung sogar noch an Dramatik. Bereits in der Eingangsszene war die Bühnenpräsenz von Jakob Ruch, der den grausamen und brutalen Soldaten spielte, so beeindruckend, dass ein junger Zuschauer geschockt die Aula verlassen musste. Mit Trommelschlägen und wichtigtuerischem Gehabe seine Macht demonstrierend, behauptete er: „Wenn das kein Judenlachen ist. […] Der braucht jetzt keine Schuhe mehr.“ Die Andorraner verbargen sich derweil anonym unter schwarzen und weißen Masken.

Barblin, Andris Geliebte und Tochter der vermeintlichen Pflegefamilie in der er Aufwächst, versucht zu Andri zu stehen, während die Gesellschaft Andri immer mehr in die Rolle des Juden hineinpresst. Juliet Christopher beeindruckte mit ihrer extrem erwachsenen Verkörperung der sehr vielfältigen Rolle der geliebten, missbrauchten und später verrückt gewordenen Barblin.

Manuel Holzer spielte überzeugend den von allen terrorisierten Andri, der sich mit seiner Rolle als Jude und Sündenbock abgefunden hat.

Hervorzuheben ist ebenso die außergewöhnliche schauspielerische Leistung von Emily Reisig als Lehrer, der sich als Andris leiblicher Vater in einem Gewissenskonflikt befindet, da er angab, Andris Pflegevater zu sein, der das vermeintliche Judenkind aus dem judenfeindlichen Nachbarland rettete.

Florian Skarke als Wirt, der versucht es allen recht zu machen und so einiges glattbügeln muss, gelang ein sehr überzeugendes Bühnenspiel.

Auch Cedric Happes als verständnisvoller Pater, Jenny Deringer als verzweifelte Mutter, Gina Paulus als edle Senora, Carolin Schmitt als judenfeindlicher Tischler, Jasmin Al-Hadjadj als selbstverliebter Doktor, Marlon Hörner als feiger Gesell und Franziska Böhm als „Jemand“ und „Judenschauer“ brillierten in ihren jeweiligen Rollen.

Neben der Umstellung der Szenen beeindruckte die Inszenierung durch einige dramaturgische Kniffe: Zwischen den verschiedenen Szenen wurden Video-Sequenzen eingespielt, in denen die Andorraner, neben Andris Sarg stehend, in Form von Zeugenaussagen ihre Unschuld bekunden. Diese Kommentare aus dem Off ließen den Schauspielern Zeit, Veränderungen am Bühnenbild vorzunehmen und stellten die verschiedenen Charaktere mit ihren Ansichten und Vorurteilen noch deutlicher dar.

Auch der Wunsch nach einem schönen, lässigen Leben im angeblich so friedvollen und toleranten Andorra kam durch die ständig wiederkehrenden Einspieler aus der Juke-Box mit dem Gute-Laune-Titel „Sweet Home Alabama“ zur Geltung. Dieser bildet einen sehr deutlichen Kontrast zum brutalen, intoleranten und feigen Vorgehen der Andorraner gegenüber Andri.

Ein weiteres wiederkehrendes Motiv sind die weißen Leintücher, die von Barblin aufgehängt werden und das ständige „Weißeln“ im angeblich „schneeweißen“ – also unbefleckten, unschuldigen Andorra.

„Die Theater-AG des MBG hat ganz hervorragende schauspielerische Talente, das beobachten wir schon seit Jahren. In einigen Szenen gab es richtige Gänsehautmomente. Leider ist das Stück aktueller denn je.“ – Zuschauerin Bärbel Böhm war beeindruckt. Marco Krüger, ein junger Zuschauer, war ebenso ganz des Lobes: „Am meisten beeindruckt hat mich die Judenschau, das war der dramatische Höhepunkt und die schauspielerische Leistung war einfach brillant.“

Zum Abschluss gab es nach dem aufrüttelnden und schockierenden Drama doch noch etwas zum Lachen: Der „Making-of“-Film zeigte einerseits, wie viel Arbeit in einer solchen Inszenierung steckt, aber auch, mit wie viel Spaß, Kreativität und Witz die Theater-AG das große Projekt angegangen hatte.