„Es war keine Wende. Es war eine friedliche Revolution!“

Mit Rainer Eppelmann (Bürgerrechtler, ehemaliger Bundestagsabgeordneter, ehemaliger evangelischer Pfarrer) besuchte am 9. Oktober ein echter DDR-Zeitzeuge das Max-Born-Gymnasium, um vor den 10. bis 12. Klassen über die DDR, den Mauerfall und seine persönlichen Erfahrungen als Zeitzeuge zu sprechen.

In seiner Begrüßung berichtete Schulleiter Joachim Philipp, wie er als junger Geschichts-Student in Trier vor 30 Jahren staunend vom Mauerfall erfahren habe. Er dankte dem „Minister für Abrüstung und Verteidigung“ der letzten und einzig demokratisch gewählten Regierung der DDR dafür, dass er auf seiner Vortragsreise zum Thema „30 Jahre Mauerfall“ auch in Neckargemünd Station machte. Ermöglicht hatte den Vortrag dieses „Protagonisten der Wendezeit“ die Vermittlung des ehemaligen MDB Prof. Dr. Gert Weisskirchen.

„Wer von Ihnen hat schon einmal in einer Diktatur gelebt?“ fragte Eppelmann zu Beginn seines Vortrags die Oberstufenschüler. Alle Hände blieben unten. Sofort hatte er seine Zuhörerschaft in seinen Bann gezogen. Zunächst beglückwünschte Eppelmann die Jugendlichen dazu, dass sie ihr ganzes bisheriges Leben in einem freiheitlichen Staat zugebracht haben und wünschte ihnen, dass das auch so bleibe. „Der entscheidende Unterschied zwischen Ihnen und mir sind nicht die paar Jahre, die uns trennen. Der entscheidende Unterschied ist, dass ich vergleichen kann zwischen einem Leben in einer Diktatur und in einer Demokratie.“ Nach Ansicht Eppelmanns betrachten viele Menschen Demokratie als zu selbstverständlich und vergessen dabei, dass auch heute noch viele Menschen unter sehr viel schlechteren Umständen leben müssen. Er beschrieb plastisch, welche Einschränkungen das Leben in einer Diktatur birgt, sowie die Gefahr die entsteht, wenn Demokratie als zu selbstverständlich angesehen wird. Am Beispiel der Nazi-Diktatur führte Eppelmann zunächst aus, wie leicht eine extreme Stimmung in der Gesellschaft zu einer – zunächst demokratisch legitimierten – Diktatur führen könne und in direkter Folge zum Krieg. „Hitler wäre sogar noch während des Krieges wiedergewählt worden!“, verdeutlichte er die damals im Land herrschende Stimmungslage. Deutschland konnte sich von der Diktatur nicht selbst befreien, sondern „wir mussten von unseren Gegnern befreit werden.“ Daraus resultierte dann – neben der sich erholenden Bundesrepublik Deutschland in einer demokratischen Ordnung – auch die SED-Diktatur in der DDR, von der Eppelmann im nächsten Kapitel seines Vortrags bereichtete.

„Wenn Sie die Geschichte der letzten hundert Jahre betrachten, können Sie unsere Gesellschaft besser verstehen“, spannte er den Bogen von der Nazi-Diktatur zur DDR. Er erzählte davon, wie man sich nicht seinen eigenen Kleidungsstil aussuchen durfte. So wäre zu DDR-Zeiten die Hälfte der Schüler in der ersten Reihe aufgrund ihrer „kapitalistisch-imperialistischen Bekleidung“, nämlich Blue Jeans, heimgeschickt worden. Nicht einmal die Musik bei Veranstaltungen konnte frei gewählt werden – 70% mussten aus der DDR und anderen sozialistischen Ländern stammen. „Muss det Spaß jemacht ham, nach Musike zu tanzen, die man beschissen fand“, berlinerte Eppelmann.

Auch berufliche Karrieren waren dem jungen SED-Kader vorbehalten, und vor allem konnte man nicht frei seine eigene Meinung sagen. „Viele Menschen haben nur deshalb unter großen Gefahren die DDR verlassen, weil sie mehr Freiheit und Selbstbestimmung wollten!“ Als Bürger Ost-Berlins konnte er die in der DDR verbotenen Westfernsehsender ARD und ZDF empfangen und so jenseits der DDR-Propaganda vom Leben in der Bundesrepublik erfahren und seine eigenen Vergleiche zwischen West und Ost ziehen. Großen Wert legte er auf die Tatsache, dass das Ende der SED-Diktatur in der DDR durch den friedlichen Einsatz der Bürgerrechtler herbeigeführt wurde. „Es war die einzige Revolution ohne Blutvergießen!“ Daher sollte man, seiner Ansicht nach, die Geschehnisse von 1989/90 auch nicht verharmlosend als „Wende“ titulieren, sondern als „friedliche Revolution“ bezeichnen.

Für eine Fragerunde blieb leider nicht allzu viel Zeit, nahm Eppelmann sich doch viel Zeit, die gestellten Fragen der Oberstufenschülerinnen und -Schüler ausführlich zu beantworten. Nach seinen ganz persönlichen Erlebnissen und seinem eigenen Beitrag im Zusammenhang mit dem Mauerfall gefragt, verwies Eppelmann an die von ihm initiierten Friedenskreise in seiner Pfarrgemeinde. Er nannte hier auch die Blueskonzerte in seinen Gottesdiensten, die von bis zu 10 000 Menschen besucht wurden, da ansonsten westliche Musik in der DDR verboten war. Am Tag des Mauerfalls selbst erlebte er persönlich mit, wie der Schlagbaum an der Bornholmer Straße als erster Grenzübergang der DDR geöffnet wurde.

Einer seiner größten persönlichen Wünsche? „Ich möchte 93 Jahre alt werden. Dann könnte ich meiner zweiten Frau sagen: Ich habe ein Jahr länger in der Demokratie als in einer Diktatur gelebt.“ Sein Rat an die Jugendlichen: „Seid glücklich und begreift, dass euer gegenwärtiges Leben kostbar sein könnte. Ihr müsst es nur wollen.“ (Ann-Katrin Kugel/We)