Interview unserer Schülerzeitung mit Fr. Dr. Thiering bzgl. ihres Stratosphärenfluges

Können Sie das Projekt, an dem Sie teilgenommen haben, kurz erläutern?

Fr.T.: SOFIA ist ein fliegendes Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie: Man säge in eine „special performance“ Boeing 747 ein 4m x 4m großes Loch, setze dort ein Teleskop mit 2,7m Spiegeldurchmesser hinein und fliege mit dem Ganzen so hoch wie die Luft ein solches Flugzeug überhaupt noch tragen kann. In diesen Höhen von 14 km  liegen 99% des Wasserdampfes der Atmosphäre unter einem. Der Wasserdampf absorbiert die Infrarotstrahlung – also die Wärmestrahlung – sodass man vom Erdboden auch mit dem größten Infrarotteleskop keine Himmelsobjekte sehen könnte.

Wie kam es, dass ausgerechnet Sie ausgewählt wurden?

Fr.T.: Ich habe ein Unterrichtskonzept entwickelt, wie ich euch im NWT- und Astronomie Unterricht meine SOFIA Erfahrung und Beobachtungstechniken im Infraroten nahe bringen kann. Dies hat das Auswahlkomitee überzeugt und so durfte ich als eine(r) von 4 LehrerInnen in Deutschland mitfliegen.

War für Sie von Anfang an klar, ob Sie zusagen werden oder hatten Sie Zweifel?

Fr.T.: Na, das hatte ich mir natürlich schon vor der Bewerbung überlegt. Es wäre ja albern gewesen, wenn ich als die Zusage Anfang Februar kam, nach der ganzen Mühe mit der Bewerbung gesagt hätte: ätsch ich will doch nicht mit.

Mussten Sie spezielle Vorbereitungen treffen?

Fr.T.: Oh ja. Zum einem musste ich schon 6 Wochen vor dem Flug einen ausführlichen lückenlosen Lebenslauf ab meiner Geburt mit allen möglichen Belegen der DLR und der NASA  geben. Ich glaube, die kennen mich nun genauer als ich mich selbst. Dann waren alle möglichen Gesundheitsfragebögen auszufüllen, – verrückte Fragen wie: Müssen Sie weniger als alle 2 Stunden aufs Klo? Haben Sie Höhenangst? Können Sie aus 5 feet Sprunghöhe sicher landen? Können Sie 30 min zügig ohne Pause marschieren? Wen sollen wir im Falle Ihres Todes benachrichtigen? – Um auf eure letzte Frage zurück zu kommen, – da hatte ich dann doch irgendwann gewisse Zweifel.

Ja, und dazu kam das intensive Sicherheitstraining in Palmdale, CA, U.S.A. Man denkt evtl.:  14 km, das ist ja nicht so viel höher als ein 10 km hoher  Interkontinentalflug, aber man muss bedenken, dass die Dichte der Atmosphäre exponentiell abnimmt. Und wenn es bei SOFIA zum Kabinendruckverlusst kommen würde, dann kann man nicht locker zur Sauerstoffmaske greifen, sondern es würde einem die Luft aus der Lunge gesaugt werden. Das heißt wir mussten die ganze Zeit im Flugzeug mit einem EPOS (=Emergency Power Oxygen System) um den Hals herumlaufen, das wir wie beim richtigen Astronautentraining vorher unter widrigen Bedingungen gelernt hatten, uns um den Kopf zu schnallen.

Welches wissenschaftliche Ziel hatte der Stratosphärenflug? Steht dies – Ihrer Meinung nach – im Verhältnis zum (finanziellen) Aufwand?

Fr.T.: Um es gleich zu vorweg sagen: Die finanziellen Kosten sind hoch: Ein 10 stündiger Flug  kostet  700 000 Dollar. Es ist fair zu fragen, ob man dafür Steuergelder ausgeben will. Aber bitte macht euch klar: Das sind auch die Kosten für jeden einzelnen Flug eines Militärflugzeugs, und von solchen Flügen gibt es jeden Tag tausende allein in den USA und zehntausende weltweit. Und auch dafür zahlen Steuerzahler. Warum muss das Militär sich nicht rechtfertigen und die Wissenschaft dauernd?

Was ist der Sinn von Grundlagenforschung? Ihr könntet z.B. jetzt keine Zeitung lesen, hätte man nicht die Buchpresse erfunden. Jeder einzelne Aspekt, in dem sich euer Leben von dem eines Höhlenmenschens aus der Steinzeit unterscheidet begann durch Grundlagenforschung. Wie, – es war cool damals? Nun, ihr werdet z.B. nicht mehr gefressen, eure Lebenserwartung liegt nicht mehr bei 25 Jahren, ihr habt es im Winter warm, habt Anziehsachen, – auch ein Fussball und die Handies sind Produkte der Grundlagenforschung.

Bei unseren beiden Flügen in die Stratosphäre ging es z.B. darum die Verteilung der chemischen Elemente in planetarische Nebel zu untersuchen.  Was soll das? Nun, als das Universum entstand bildete sich nur Wasserstoff. Alle weiteren Elemente also auch der Kohlenstoff in unserem Körper entstand durch Kernfusion im Inneren eines Sternes.

Sterne geben am Ende ihres Lebens Teile ihrer Masse in Form von diesen sog. planetarischen Nebeln an den Raum zwischen den Sternen wieder ab und unser Sonnensystem und damit auch wir sind aus solchem „angereicherten“ Material entstanden. Ihr seid also alle „Kinder der Sterne“. Diesen Vorgang versucht man durch solche Forschung genauer zu verstehen.  –Und es gab noch 10 weitere genauso faszinierende Projekte auf unserem Flug.Das ist aber hier zu lang. Fragt mich danach, wenn ihr es wissen wollt.

Wie kann man sich einen solchen Flug in die Stratosphäre vorstellen?

Fr.T.: Es ist nicht so sehr ein Weltraumflug gewesen, als eher ein technisch beeindruckender Flug. Das Teleskop ist der deutsche Beitrag zu SOFIA (die NASA stellt das Flugzeug und die Infrastruktur): Von einem wackelndem Flugzeug aus die Sterne scharf zu beobachten ist so schwierig, als ob man auf einem gallopierenden Pfern in 5 km Entfernung Details eine 10 Cent Münze fotografieren will. – Und das kann SOFIA!

Wir Lehrer hatten ja außerdem Zugang zu allen Gesprächskanälen und genau wie bei jedem anderen NASA Flug fragte unsere ‚Mission Direktorin’ (es waren übrigens beiden mal Frauen J) gefühlt 20 Station ab, die alle ein ‚go’ geben mussten, bevor wir starten konnten. Ein einziges ‚no go’ führt, wie bei unserem ersten Flugversuch geschehen, zu ‚mission end’.

Mich beeindruckte das konzentrierte Zusammenwirken  von allen 24 Personen, die in unserem im Flugzeug waren.  Das schönste und beeindruckendste war eigentlich auch dieses reibungslose Zusammenspiel zwischen Technik, Wissenschaftlern und Naturbeobachtung. Alle Teams waren fokussiert auf das eine Ziel: mehr Erkenntnis zu erlangen. Obwohl viel Druck auf allen lag, da ein Flug ja viel Geld kostet, waren alle Funksprüche freundlich und entspannt. Während die Wissenschaftler über optimale Beobachtungszeiten usw. diskutierten wurde auch mal gelacht. Es ging darum Daten zum Verständnis von  spannenden Themen zu sammeln, z.B.  was genau nach dem Urknall passierten und wie sich unser Sonnensystem gebildet hat. All dies zeigt mir wie viel wir Menschen erreichen und erkennen können, wenn wir unsere Streitigkeiten beiseite legen und uns gemeinsam auf ein Ziel konzentrieren.

Wie hat es sich angefühlt, in der Stratosphäre zu sein? 

Fr.T.:  Zum einen, wie ich in meinem Blog stratoinge.wordpress.com berichtete, war ein besonders intensiver Augenblick als wir am Dienstag von unserer schon sehr großen Beobachtungshöhe von 40 000 feet noch einmal auf 45 026 feet aufstiegen, wobei 45 000 feet eigentlich die Maximalhöhe für SOFIA ist, die auch nicht bei jedem Flug erreicht wird. (Nur wenn es besonders wenig Luftturbulenzen gibt steigt man zu diesen Höhen, die für die Wissenschaft noch einmal besser ist, auf). Das Flugzeug begann leicht zu vibrieren. Wir flogen in der sog. ‚Coffins – Corner’ (zu deutsch im ’Sargdeckel‘). Dies ist ein Bereich im Parameterraum zwischen Fluggeschwindigkeit und Flughöhe, in dem das Flugzeug noch einmal höher steigen kann. Verlässt man aber diesen schmalen Parameterraum (und fliegt z.B. zu schnell oder zu langsam) so wird das Flugzeug nicht mehr von der Luft getragen und es stürzt ab.

Dies hat mit jedem einzelnen von uns psychologisch etwas gemacht. Ich habe mich plötzlich extrem weit entfernt von der Erde gefühlt, als ob es ganz schwierig wäre zu ihr zurück zu kehren. Selbst die Piloten haben auf ihren Sprachkanälen zwar entspannt und locker aber eben doch darüber geredet ob und wenn ja wann sie schon mal in diesen Höhen waren.

Zum anderen war es sehr beeindruckend zu sehen wie dünn unsere Atmosphäre ist. Wie mein alter Lehrer Prof. Carl Sagan von der Cornell University, USA, zu sagen pflegte: Wäre die Erde so groß wie ein Tischglobus, dann wäre die Atmosphäre dünner als die Lackschicht darauf. Im Weltall muss dieser Eindruck noch viel intensiver sein. Nicht um sonst wurden viele Austronauten nach ihrer Rückkehr engagierte Umweltschützer.

Gab es Momente, in denen Sie Ihre Entscheidung bereut haben?

Fr.T.: Nun bereut nicht, denn ich wusste ja worauf ich mich einlasse. Aber es war eine sehr intensive Zeit. Während des Tages gab es das umfangreiche Sicherheitstraining, in der Nacht flogen wir und irgend wann dazwischen habe ich meinen Blog geschrieben. Ich habe eine Woche lang pro 24 Std nur 2 Std geschlafen. So etwas Extremes, Anstrengendes habe ich selbst während meiner Studienzeit nicht erlebt. (Ich empfehle es nicht zur Nachahmung).

Würden Sie noch einmal fliegen, vielleicht sogar weiter?

Fr.T.: Noch einmal dasselbe: Nein, denn ich kenne es ja jetzt schon. Etwas anderes: Ja. Dabei muss es für mich nicht wirklich noch weiter weg gehen, – nur spannend und neu muss es sein.

Wenn man nicht neugierig auf etwas Neues ist, finde ich, kann man sich auch wie eine Pflanze eintopfen lassen, denn man unterscheidet sich nicht so sehr von ihr. Neugier ist für mich das Salz in der Suppe des Lebens und ich würde mich freuen, wenn ich möglichst viele von euch überzeugen könnte, dass es spannend ist etwas Neues zu erfahren.